DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGISCHE SCHMERZTHERAPIE UND -FORSCHUNG E.V.

PREISTRÄGER 2010

Dipl.-Psych. M. Dobe

Vodafone Stiftungsinstitut und Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Vestische Kinder- und Jugendklinik, Universität Witten/Herdecke

Die Schmerzprovokationstechnik als ein zusätzlicher Behandlungsbestandteil für Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen

Theoretischer Hintergrund: Neuere Prävalenzstudien sprechen für eine erhebliche Komorbidität zwischen chronischem Schmerz und emotionalen Belastung infolge traumatischer Lebensereignisse. Dies sollte in der Therapie berücksichtigt werden. Leider wurde bislang kein Therapieverfahren für Kinder und Jugendliche publiziert, welches gleichermaßen chronischen Schmerz als auch die hohe emotionale Belastung infolge von belastenden oder traumatischen Ereignissen adressiert.

Effektiv sind Interventionen nach dem Fear avoidance-Konzept mit Exposition , weil vermutlich die  Verbindung zwischen chronischem Schmerz und emotionaler Belastung abgeschwächt wird, denn  Expositionsverfahren reduzieren die Angst vor Schmerz und mindern die ängstlich erhöhte Körperselbstaufmerksamkeit (anxiety sensitivity). Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll, Expositionsverfahren in eine Therapiemethode zu implementieren, welche sowohl den chronischen Schmerz als auch eine hohe emotionale Belastung positiv beeinflussen will. 
Auf dieser wissenschaftlichen Grundlage wurde im Rahmen einer stationären multimodalen Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen eine zusätzliche Behandlungskomponente, die "Schmerzprovokation", entwickelt und evaluiert. Die Schmerzprovokation beinhaltet sowohl Elemente der graduellen interozeptiven Reizexposition zur schrittweisen Steigerung der Schmerzintensität (z.B. über eine Erhöhung der Körperselbstaufmerksamkeit oder die Fokussierung auf körperliche Anspannung auslösende Erinnerungen) als auch den sich direkt anschließenden Einsatz von schmerzbezogenen Copingstrategien zur schrittweisen Reduktion der Schmerzintensität. Da die mit der Angst vor Schmerz sowie der mit anxiety sensitivity verbundene Schmerzwahrnehmung eng mit weiteren belastenden Emotionen und Kognitionen (z.B. auch hinsichtlich traumatischer und belastender Lebensereignisse) assoziiert sein kann, wurde die bilaterale Stimulation als eine Möglichkeit zur Reduktion der limbischen Aktivierung bei Schmerz zusätzlich implementiert. 

Anhand des Fallbeispiels eines Jungen mit sowohl einer chronischen Schmerzstörung als auch einer Anpassungsstörung infolge eines Todesfalls wurde die potentielle Wirksamkeit der Methode untersucht. Erst die Implementierung der Methode der Schmerzprovokation führte zu einer Reduktion sowohl der schmerbezogenen als auch emotionalen Belastung im Vergleich zu einer normalen Schmerztherapie im Rahmen einer multimodalen stationären Schmerztherapie. Aufgrund dieser ermutigenden Beobachtung wurde im Rahmen einer matched-case-control Studie untersucht, inwiefern die zusätzliche Implementierung der Technik der Schmerzprovokation einen für die Kinder zusätzlichen Benefit drei Monate nach Beendigung der stationären Therapie darstellte. Hierzu wurde eine Schmerzprovokationsgruppe (N=40) mit einer gematchten Vergleichsgruppe (N=40) bezüglich der Schmerzintensität, schmerzbezogenen Beeinträchtigung, den Schulfehltagen sowie der emotionalen Belastung (Angst und Depression) drei Monate nach Beendigung der stationären Behandlung verglichen. Es zeigte sich eine signifikant stärkere Schmerzreduktion sowie signifikante stärkere Verringerung der Schulunlust in der Schmerzprovokationsgruppe nach drei Monaten. Die übrigen Outcome-Variablen unterschieden sich nicht zwischen den beiden Gruppen. Der Anteil der Kinder mit einer komorbiden Anpassungs- oder Traumastörung war allerdings zu gering, um darüber eine spezielle Aussage zu ermöglichen.
Die Schmerzprovokation bewirkt einen zusätzlichen Nutzen für die Schmerztherapie bei Kindern. Weitere Studien müssen nun zeigen, auf welche Bestandteile der Methode die beobachteten Effekte nun genau zurückzuführen sind und inwiefern die Methode der Schmerzprovokation für Kinder mit einer chronischen Schmerzstörung und gleichzeitigen Anpassungs- oder Traumastörung geeignet ist

Dr. Nicole Leißner, Diplom-Psychologin

Universität Ulm

Zur Versorgungssituation traumatisierter Flüchtlinge am Beispiel des Behandlungszentrums für Folteropfer Ulm
Psychische und Körperliche Beschwerden nach Extremtraumatisierung

Die ausgezeichnet Arbeit befasst sich kritisch mit der klinischen Praxis zum Störungskonzept der Posttraumatischen Belastungsstörung, in der bestimmte psychische und körperliche Beschwerden nach Extremtraumatisierung, sowie die geschlechts-, kultur- und traumaspezifischen Besonderheiten hinsichtlich der Symptomatik – insbesondere der Schmerzsymptome -  nur unzureichend berücksichtigt werden. 
Am Beispiel der Patienten des Behandlungszentrums für Folteropfer Ulm (BFU) werden psychische und somatische Beschwerden nach Extremtraumatisierung untersucht. Es wird angenommen, dass sowohl die Misshandlungsarten als auch die berichteten Beschwerden durch geschlechts- und länderspezifische Faktoren beeinflusst werden und dass Zusammenhänge zwischen Misshandlungsart und Beschwerden bestehen. Darüber hinaus wird untersucht, inwieweit eine adäquate psychosoziale Versorgung betroffener Flüchtlinge in der Praxis erreicht werden kann und Art und Umfang der bisherigen Arbeit der Behandlungseinrichtung dokumentiert. Datengrundlage der vorliegenden Arbeit bilden die im klinischen Prozess erhobenen Daten des Behandlungszentrums Ulm über einen Zeitraum von sechs Jahren.
Im Untersuchungszeitraum von 1999-2004 kontaktierten  insgesamt 1481 traumatisierte Migranten das BFU aus zahlreichen Herkunftsländern. Bezogen auf den gesamten Untersuchungszeitraum erhielten insgesamt 78% aller Patienten (n=1158) diagnostische Gespräche zur Abklärung ihrer Beschwerden. 23% aller Patienten, die mit dem BFU Kontakt aufnahmen, erhielten eine verbale Traumatherapie. Etwa 2/3 der Therapien werden mit Hilfe von Dolmetscher durchgeführt. Die Daten zeigen, dass in den Herkunftsländern der betroffenen unterschiedliche Foltermethoden praktiziert werden. 
Vielfältige Schmerzen werden von Extremtraumatisierten als häufigste Symptomgruppe berichtet. Die Muster der Schmerzsymptome korrelieren signifikant mit Art, Häufigkeit und Schweregrad der Traumatisierung. Frauen sind stärker betroffen als Frauen. Die Korrelationen zwischen dem Ausmaß der Traumatisierung und dem Schweregrad der psychischen und körperlichen Beeinträchtigung erklären etwa 25% der gemeinsamen Varianz. Weiterhin konnten bedeutsame Einflüsse von Geschlecht und Herkunftsland auf die Symptommuster der PTBS nachgewiesen werden.
Die Studie macht deutlich, dass ein erheblicher Therapiebedarf hinsichtlich des Schmerzleidens von extrem Traumatisierten besteht und dass die schmerztherapeutische Versorgung unzureichend ist. Die Traumaforschung befasst sich erst seit jüngerer Zeit mit diesem Problem. Die Fokussierung auf die „psychiatrische“ Symptimatik der PTBS in asylrelevanten Entscheidungen entspricht nicht der Realität der pathologischer Entwicklungen nach Extremtraumatisierung und Folter.

Dr. Andrea Wendt

Beeinträchtigung und Selbstwirksamkeitserwartung bei chronischen RückenschmerzpatientInnen

Fragestellung:  Beeinträchtigung und Selbstwirksamkeitserwartung erwiesen sich immer wieder als einflussreiche Variablen bei chronischen Rückenschmerzen. Beim Konzept der  Selbstwirksamkeitserwartung steht die Beziehung zwischen eigener Einschätzung und gezeigtem Verhalten im Mittelpunkt. Das Ausmaß der Beeinträchtigung wird i.d.R. lediglich über Selbsteinschätzungsverfahren erhoben, ob diese jedoch mit der  beobachtbaren Beeinträchtigung übereinstimmt bleibt oft unklar.  Ziel dieser Arbeit war es, die Zusammenhänge zwischen beobachtbarer und selbsteingeschätzter Beeinträchtigung besser zu verstehen sowie die Rolle zu beschreiben, die die Selbstwirksamkeitserwartung dabei spielt. 
Methode: 71 chronische RückenschmerzpatientInnen und 48 Rückengesunde schätzten ihr Beeinträchtigungserleben (verbal sowie mit Hilfe von Fragebögen) ein und führten Hebetests durch, bei denen die Beeinträchtigung beobachtet wurde. Weiterhin wurden die Selbstwirksamkeitserwartung und mögliche weitere Einflussfaktoren wie schmerzbezogene Ängste, Depressivität sowie biosoziale Faktoren erfasst. 
Ergebnisse und Schlussfolgerungen: Für die Selbstwirksamkeitserwartung konnte erneut gezeigt werden, dass dieses Konzept in engem Zusammenhang zu relevanten Variablen chronischer Schmerzen steht. Interessanterweise jedoch lediglich die spezifische Selbstwirksamkeitserwartung, während die globale keine bedeutsame Rolle zu spielen scheint. 
Das Beeinträchtigungserleben (erhoben über Selbstbeurteilungsverfahren) weicht bei der Mehrheit der RückenschmerzpatientInnen nur wenig von der beobachtbaren Beeinträchtigung ab. Auch gelingt ihnen im Vergleich zu den Rückengesunden eine korrektere Einschätzung ihrer Ergebnisse im Verhaltenstest. Daher muss davor gewarnt werden, dass Diskrepanzen zwischen der beobachtbaren Beeinträchtigung und den Selbsteinschätzungen  als typisches Merkmal von chronischen RückenschmerzpatientInnen angesehen werden oder als eindeutiger Hinweis auf Aggravationstendenzen. 
Weiterhin lässt sich aus diesen Ergebnissen ableiten, dass für eine validere Erfassung der Beeinträchtigung neben Selbstbeurteilungsverfahren auch Verhaltenstests eingesetzt werden sollten.