PREISTRÄGER 2006 & 2008
PREISTRÄGER 2008
Dr. Jens Tretrop
Universität Hamburg, Psychotherapeutische Hochschulambulanz
Der Placeboeffekt bei chronischen Rückenschmerzpatienten : eine klinisch - experimentelle Studie
Theoretischer Hintergrund: Die zentralen psychologischen Theorien zu Wirkmechanismen des Placeboeffekts sind a) Erwartungsphänomene und b) die Klassische Konditionierung; in der Literatur wird eine Verknüpfung beider Ansätze vorgeschlagen. In einer klinisch-experimentellen Studie wurde untersucht, ob sich bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (N=72) (1.) durch die ihnen explizit über eine Placebo-Tinktur gegebene Information „Opioid“ ein Placeboeffekt aufbauen lässt, (2.) ob ein solcher Effekt durch aktuelle Lernerfahrungen im Rahmen einer experimentellen Konditionierungs-Prozedur noch erhöht, bzw. (3.) durch eine experimentelle Konditionierungsprozedur aufgebaut werden kann, wenn zuvor die Information „Placebo“ mitgeteilt wurde.
Methode: Als Placebo wurde eine wirkstofffreie Tinktur verwendet, der per Instruktion entweder a) eine zentrale, hochanalgetische und beweglichkeits-steigernde Wirksamkeit („Opioid“) oder b) keine Wirkung („Placebo“) zugesprochen wurde. Beide Gruppen wurden in je 3 weitere Gruppen unter-teilt (sofortige, verzögerte, keine Konditionierung). Die Konditionierungs-Prozedur erfolgte durch die für die Patienten unwissentlich durchgeführte Halbierung eines experimentellen intrakutanen elektrischen Schmerzreizes. Die Wirksamkeitserwartungen wurden im Verlauf mehrmals erfragt.
Ergebnisse: Allein durch die Information „Opioid“ ließ sich eine Placebo-Analgesie bzgl. der Wahrnehmung der experimentellen Schmerzreize und der klinisch relevanten Rückenschmerzen aufbauen. Außerdem wurden die vor der Durchführung komplexer alltagsnaher Aktivitäten bestandenen bewegungs-bezogenen Ängste verringert und Verhaltensmerkmale während der Durchführung der Aktivitäten beeinflusst (Verbesserung von subjektiv erlebter Beeinträchtigung, der Funktionskapazität und Verkürzung der benötigten Ausführungszeit). Die allein durch die Opioidinformation aufgebauten Placeboeffekte ließen sich durch die Konditionierungsprozedur nicht signifikant vergrößern. Die zu Beginn infolge der Information „Opioid“ hervorgerufenen hohen Wirksamkeitserwartungen konnten durch aktuelle Lernerfahrungen zwar nicht gesteigert, aber aufrechterhalten werden. Bei den Patienten mit der Information „Placebo“ zeigte sich nach der sofortigen Konditionierung bei den Rückenschmerzen eine Placeboanalgesie. Es ließen sich in dieser Gruppe nach der Konditionierung nur geringe Wirksamkeitserwartungen aufbauen. Insbesondere durch die explizite Erwartungsmanipulationergab sich ein klinisch relevanter schmerzlindernder und bewegungsverbessernder Placeboeffekt.
Schlußfolgerung: Die Ergebnisse verdeutlichen die Bedeutung der den Patienten über ein Präparat explizit gegebenen Informationen, der aktuellen Lernerfahrungen und der aufgebauten Erwartungen für die Ausbildung des Placeboeffekts. Zusammenhänge des Placeboeffekts zum „Fear-Avoidance-Modell“ der Chronifizierung von Rückenschmerzen werden hergestellt. Ansatzpunkte zur Optimierung der Konditionierungsprozedur werden aufgezeigt.
Dr. Heike Schultze
Psychosomatische Fachklinik Bad Dürkheim
Stationäre psychosomatische Rehabilitation bei chronischen Schmerzpatienten – Evaluation einer psychoedukativen sozialmedizinischen Gruppenintervention
Fragestellung: PatientInnen mit chronischen Schmerzen gelten in der psychosomatischen Rehabilitation als schwierig behandelbar. Ursache dafür ist oftmals einerseits die Fixierung der Patienten auf ein organmedizinisches Krankheitsmodell, andererseits liegt bei dieser Patientengruppe häufiger als bei Patienten mit anderen Störungen eine sozialmedizinische Problematik vor. Nach bisherigen Untersuchungen ist die Variable „laufendes Rentenverfahren“ generell ein sehr bedeutsamer Prädiktor für therapeutischen Misserfolg in der stationären psychosomatischen Rehabilitation.
Meist wird der therapeutische Misserfolg ausschließlich als Konsequenz des Rentenbegehrens, d.h. eines Patientenmerkmals, interpretiert. Allerdings mangelt es an spezifischen Angeboten gerad efür diese Patientengruppe. Die Zielsetzung bestand in der Evaluation eines neu entwickelten sozial-medizinischen Therapiemoduls (bestehend aus Vortrag, Videopräsentation und interaktiver Arbeit an Fallbeispielen), das zum Ziel hat, die Motivation der Patienten zur Teilnahme an der Rehabilitationsmaßnahme und das Rehabilitationsergebnis zu verbessern.
Methode: Die Gruppenintervention wurd eim Rahmen einer kontrollierten, prospektiven Studie evaluiert und in Rahmen eines quasi-experimentellen, drei-faktoriellen Designs mit zwei Gruppenfaktoren (Faktor 1: Treatment: sozialmedizinische Intervention (ExGr 1) vs. Entspannungseinheit (ExGr 2); Faktor 2: mit vs. ohne laufendes Rentenverfahren) und – Faktor 3 - einem dreistufigen Messwiederholungsfaktor (stationäre Aufnahme, stationäre Entlassung, 6-Monats-Katamnese) geprüft. Die Treatmentbedingungen wurden nach einem ABBA-Schema realisiert.
Alle Patienten mit primärer Klassifikation einer Schmerzstörung wurden in die Studi eaufgenommen. Patienten beider Untersuchungsbedingungen nahmen an der störungsspezifischen Schmerzgruppe der Klinik, innerhalb deren die sozialmedizinische Einheit eingebettet war, teil und waren darüber hinaus in die Regelversorgung der Klinik eingebunden. Mit bewährten standardisierten Fragebogenverfahren wurden über die drei Messzeitpunkte gängige soziodemographische, sozialmedizinische, symptomatologische und motivationale Merkmale erhoben. Untersucht wurden 206 Patienten mit chronischen Schmerzstörungen (NExpGr=100 ; NKoGr=106). Die beiden Experimentalgruppen waren hinsichtlich wesentlicher Stichprobenkennwerte vergleichbar.
Ergebnisse: Die sozialmedizinische Intervention fand bei allen Patienten unterschiedslos eine hohe Akzeptanz. Patienten der ExGr 1 wissen nach der Intervention über sozialmedizinische Sachverhalte besser Bescheid als Patienten der ExGr 2.
Die Rehabilitations-Maßnahme als ganze war – unabhängig von der Versuchsgruppenzugehörigkeit – hoch wirksam. Patienten mit laufendem Rentenverfahren profitierten – betrachtet man die absoluten Differenzwerte -ebenso günstig wie Patienten ohne laufendes Rentenverfahren. Entgegen den Erwartungen war bei den Patienten mit laufendem Rentenverfahren der Trippel-Interaktionseffekt nicht signifikant – die sozialmedizinische Intervention hatte bei Patienten mit laufendem Rentenverfahren über die Messzeitpunkte hinweg keinen zusätzlichen (differenziellen) Therapieeffekt. Auch hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeitszeiten in den sechs Monaten nach der Entlassung aus der stationären Rehabilitation gab es zwischen beiden Experimentalgruppen keine bedeutsamen Unterschiede.
Schlußfolgerung: Trotz aller positiver Wirkungen der Gesamtmaßnahme wurde der angezielte, zusätzliche Effekt der Gruppenintervention nicht erreicht. Die Intervention ist allerdings per se wertvoll, indem sie dem Recht des Patienten auf Informierung Rechnung trägt.
PREISTRÄGER 2006
Dr. Sandra Schramm,
Universität Hamburg,
Psychotherapeutische Hochschulambulanz
(Leiterin Dr. Regine Klinger)
Ein dynamischer Ansatz zur Steigerung der Veränderungsmotivation von chronischen Rückenschmerzpatienten
Eine prospektiv kontrollierte Interventionsstudie mit Messwiederholungsdesign
Die Motivation zur aktiven Bewältigung chronischer Schmerzen gilt innerhalb der Schmerztherapieforschung als problematischer Bereich. Durch den Einsatz einer neu entwickelten Kurzintervention, bestehend aus zwei effektiven Verfahren aus dem Bereich der Motivationspsychologie sowie dem Hinzufügen eines Problemlösungsansatzes, versuchte Frau Dr. Sandra Schramm in Zusammenarbeit mit Frau Dr. Regine Klinger in einer Studie, die Eigenaktivität von chronischen Rückenschmerzpatienten zu erhöhen und damit das Therapieergebnis zu verbessern. Hauptziel der Untersuchung war die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit chronischer Rückenschmerzpatienten.Die eingesetzten Motivationsstrategien waren zum einen das so genannte „mentale Kontrastieren“ aus der „Fantasy Realization Theory“ nach Oettingen (1996). Dabei handelt es sich um einen Abwägungsprozess, bei dem sich abwechselnd die positiven Aspekte im Zusammenhang mit der Zielerreichung mit den Hindernissen vor Augen geführt werden. Zum anderen wurde die Strategie der „Implementation Intentions“ im Rahmen des „model of action phases“ nach Gollwitzer (1993) verwendet. Dies ist ein besonderes Verfahren zur Vorsatzbildung, bei dem erwünschte Verhaltensweisen an situative Bedingungen gekoppelt und somit automatisch ausgelöst werden, ohne kognitive Kapazität zu benötigen. Beide Verfahren gelten als Strategien zur Optimierung der Zielerreichung und sind in zahlreichen experimentellen Studien überprüft worden.
Methode: Zwei randomisiert zugeordnete Gruppen à 30 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (Interventionsgruppe vs. KG) durchliefen eine 3 bis 4-wöchige ambulante Rehabilitations-Behandlung. Die Interventionsgruppe erfuhr zusätzlich die benannten Motivationsstrategien unter verhaltenstherapeutischer Anleitung. Zudem wurden Problemlösungsansätze für die aufgedeckten Hindernisse erarbeitet. Zur Messung des Therapieerfolges (prae, post, follow up nach drei Monaten) wurden die Erfolgskriterien Arbeitsfähigkeit, Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Schmerzreduktion, Steigerung der Veränderungsbereitschaft, Erreichen persönlicher Therapieziele herangezogen und durch Fragebögen und Verhaltensstichproben operationalisiert.
Ergebnisse: Die Interventionsgruppe war der Kontrollgruppe besonders im Bereich der Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit deutlich überlegen, d.h. die tatsächliche Umsetzung der erlernten Verhaltensweisen verlief erfolgreicher. Dies wurde sowohl in den Ergebnissen des Funktionsfragebogens Hannover - Rücken im Selbstbericht als auch bei objektiven Kriterien, einem Hebe- sowie Ergometertest deutlich.
Schlussfolgerung: Die neu entwickelte Kurzintervention, bestehend aus den theoretischen Motivationsstrategien und dem verhaltenstherapeutisch orientierten Problemlösungsansatz, zeigte ihre Effektivität bei der Behandlung chronischer Schmerzen. In dieser Studie wurden die theoretischen Motivationsstrategien miteinander kombiniert sowie erstmalig als Teil eines Therapieprogramms für eine klinische Population im verhaltenstherapeutischen Setting angewandt. Die Kurzintervention für Rückenschmerzpatienten konnte effektiv in das therapeutische Setting integriert werden. Aufgrund ihres zeitlich knappen Formates kann sie als Baustein im Rahmen multimodaler Behandlung zu einem verbesserten „Therapie-Outcome“ beitragen.
Dipl. Psych. Corinna Leonhardt
Philipps-Universität Marburg, Institut für Medizinische Psychologie
(Leiter: prof. Dr. H.D. Basler)
Prof. Dr. Stefan Keller, University of Hawaii at Manoa, Department of Public Health Sciences & Epidemiology
Depressivität, Bewegungsangst-Kognitionen und körperliche Aktivität bei Patienten mit Rückenschmerz
Sind depressive Rückenschmerzpatienten Bewegungsmuffel?
Regelmäßige körperliche Aktivität ist Bestandteil aller derzeitigen Empfehlungen zur Behandlung des Rückenschmerzes. Rückenschmerzpatienten zur Änderung eines eher wenig aktiven Lebensstils zu bewegen, ist jedoch eine besondere Herausforderung, da viele Schmerzpatienten gleichzeitig unter einer depressiven Stimmung leiden. Diese antriebsarmen, resignierten Rückenschmerzpatienten sollten eine geringere Bereitschaft haben, regelmäßig intensiver körperlicher Betätigung nachzugehen. Dies sollte um so eher der Fall sein, wenn Depressivität mit der Einstellung gekoppelt ist, dass körperliche Aktivität ursächlich an der Entstehung von Beschwerden beteiligt ist („Körperliche Aktivitäten verstärken meine Schmerzen“). Bei der Datenanalyse eines großen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Projektes mit einer Stichprobe von 1378 Patienten aus Hausarztpraxen (58% weiblich, mittleres Alter 49 Jahre, rund 60% akute Schmerzen) konnten die meisten der Annahmen erstaunlicherweise nicht bestätigt werden. Zwar zeigten Patienten mit höheren Depressivitätswerten und starken Überzeugungen, Bewegung schade dem Rücken die geringste Aktivität bei der Ausgangsmessung –doch lag auch diese schon im Durchschnitt bei über 2000 kcal/Woche. Depressive und nicht-depressive Patienten unterschieden sich nicht in der Bereitschaft, demnächst ein gesundheitlich wirksames Maß körperlicher Aktivität anzustreben. Weder Depressivität noch die Einstellung, körperliche Aktivität schade dem Rücken, waren signifikante Vorhersagefaktoren für das Aktivitätsniveau nach sechs oder 12 Monaten. Wichtig waren hierfür ähnliche Einstellungen, wie sie auch von Gesunden bekannt sind: die eigene Zuversicht, auch unter widrigen Umständen eine geplante körperliche Aktivität in die Tat umzusetzen und die Wahrnehmung von Vorteilen bezüglich regelmäßiger Aktivität („Ich fühle mich dann weniger gestresst“) - das letztere insbesondere um einen Rückfall in Inaktivität vorzubeugen. Depressivität oder ängstliche Einstellungen gegenüber Bewegung sind nach unseren Daten erstaunlicherweise wenig geeignet, die Bereitschaft zur Aktivität oder tatsächliche Aktivität bei akuten Rückenschmerzpatienten vorherzusagen. Dennoch muss aber allen Rückenschmerzpatienten weiter empfohlen werden, möglichst schnell wieder körperlich aktiv zu werden und regelmäßig Sport zu treiben, da es die Stimmung verbessert, Stress abbauen hilft sowie die Kondition und Fitness steigert!